Endokarditis und "Blutverdünner"

In diesem Artikel erfahren Sie mehr zu den beiden Themenfeldern der Endokarditis und zur Wirkungsweise der sogenannten Blutverdünner sowie deren Relevanz für die zahnärztliche Behandlung.

Endokarditis

Als Endokarditis wird eine Entzündung der Herzinnenhaut bezeichnet, welche neben dem eigentlichen Endokard auch die Auskleidung der Herzhöhlen und den herznahen Anteil des Gefäßsystems einschließt sowie die Struktur der Herzklappensegel. Eine Endokarditis kann dabei abakteriell - also nicht-infektiös - oder häufiger als infektiöse Form vorliegen, welche infolge einer Absiedelung von Bakterien, Viren oder Pilzen entsteht. Als Erreger gelten Streptokokken, Enterokokken sowie eine Reihe allgemein anaerob (sauerstoffunabhängig) lebender Bakterien.

Ein besonders hohes Risiko für eine Endokarditis besteht bei Patienten, welche an einem angeborenen Herzfehler leiden, selbst eine Endokarditis bereits erlitten haben, über künstlichen Herzklappenersatz verfügen oder herztransplantiert sind.

Inwiefern relevant bei einem Zahnarztbesuch?

Das orale Mikrobiom bildet den natürlichen Lebensraum zahlreicher Bakterien. Schätzungen gehen davon aus, dass die Mundhöhle Bakterien in einer Größenordnung von bis zu mehreren Milliarden beherbergt, welche auf etwa 500-800 unterschiedliche Spezies beziffert werden. Die meisten dieser oralen Mitbewohner gelten als unbedenklich und leben in einer Symbiose. 
Verändern sich jedoch die Lebensbedingungen innerhalb der Mundhöhle durch vorzugsweise exogene Einflüsse wie eines veränderten Nahrungsmittelkonsums, reduzierter Mundhygiene oder auch der Einnahme von Medikamenten, so gerät der sensible Gleichklang durcheinander und begünstigt die Vermehrung pathogener - krankheitsauslösender - Erreger. Dieser Vorgang wird in der Literatur auch als Opportunistische Infektion bezeichnet: Die Vermehrung besser angepassten Bakterien induziert durch ein verändertes Mikrobiom. Als klassischer Profiteur einer erhöhten Kohlenhydrataufnahme gilt beispielsweise Streptokokkus mutans, das Kariesbakterium.

Im Rahmen einer zahnärztlichen Therapie können Schleimhautanteile verletzt werden (z. B. nach einer Zahnextraktion oder Professionellen Zahnreinigung) und damit Bakterien aufgrund der nun gestörten Schleimhautbarriere in das Blutgefäßsystem gelangen. Dies gilt übrigens nicht allein für zahnärztliche Eingriffe, auch Operationen entlang der Rauch- und Schluckstraße sowie des Verdauungstrakts können sogenannte Bakteriämien bedingen. Je nach Virulenzfaktor des Erregers kann eine Adhäsion sowie Kolonisation der Mikroorganismen im Körper folgen - auch im Bereich des Herzens - mit teils lebensbedrohlichen Folgen.

Was tun?

Um der Gefahr einer Bakteriämie prophylaktisch bei genannten Risikogruppen entgegenzuwirken, wird eine perioperaktive antibiotische Abschirmung empfohlen. Diese wird nach Absprache mit dem behandelnden Zahnarzt eine Stunde vor dem Termin eingenommen und beinhaltet die Gabe von 2g Amoxicillin oder bei einer entsprechenden Penicillinunverträglichkeit 600mg Clindamycin. Insofern keine Zugehörigkeit zu einer der risikobehafteten Personen vorliegt, ist eine solche Antibiose jedoch nicht notwendig.

 

"Blutverdünner", die antikoagulative Therapie

Unter der Bezeichnung der Blutverdünner werden eine Reihe gerinnungshemmender Medikamente subsummiert, die einem möglichen thromboembolischen Ereignis prophylaktisch entgegenwirken. Unter einer Thromboembolie versteht man die Verschleppung eines Thrombus (eines im Blutgefäßsystem entstandenes Gerinnsels) in vor allem sensible Areale des Körpers (Hirn, Herz, Lunge, Niere), welche dort zu einem lokalen Gefäßverschluss führen und damit eine Minderperfusion (Minderdurchblutung) der nachfolgenden Strukturen bedingen. Damit bilden Thromboembolien laut WHO (Weltgesundheitsorganisation) die häufigste Todesursache im Rahmen einer Koronaren Herzkrankheit oder eines Schlaganfalls.

Verschiedene Therapieansätze

Die Blutgerinnung ist ein hochkomplex, aus mehreren Phasen und unterschiedlichen Kaskaden, aufgebautes System, welches aus einer wechselseitigen Aktivierung und Inaktivierung verschiedener Faktoren hervorgeht. Eine genauere Beschreibung dieses Systems ist für einen groben Überblick und die Zusammenhänge nur bedingt erforderlich, weshalb wir an dieser Stelle darauf verzichten und uns auf das Wesentliche beschränken.

Grafik zum Ablauf der sekundären Hämostase (Blutgerinnung), Joe D

 

Folgend werden die unterschiedlichen Ansätzen der Antikoagulation aufgeführt:

Heparin

Fraktioniertes und unfraktioniertes Heparin wird aus der Lunge und dem Darm von Rindern und Schweinen isoliert sowie modifiziert. Heparin bindet an verschiedene Antithrombinmoleküle, vor allem Antithrombin III, und wird als Sofortinhibitor mit kurzer Halbwertszeit eingesetzt. Es hemmt die Gerinnungsfaktoren II, IX, X, XI, XII und wird bei Thrombosen sowie Embolien häufig im Rahmen einer stationären Behandlung verabreicht. Im Kontext einer zahnärztlich ambulanten Therapie ist es von untergeordneter Bedeutung, sei der Vollständigkeit halber dennoch erwähnt. Kontrolliert wird die Gerinnung unter Bestimmung der Partiellen Thromboplastinzeit, einem im Labor erhobenen Kontrollparameter.

Vitamin-K-Antagonisten, Cumarin-Derivate z. B. Phenprocoumon, Warfarin

Häufige Präparate: Marcumar, Falithrom, Coumadin

Vitamin-K-Antagonisten setzen in ihrem Wirkmechanismus nicht direkt an bestehenden Gerinnungsfaktoren an, sondern verhindern deren Synthese. So wird die Bereitstellung der Faktoren II, VII, IX, X sowie der Proteine C und S in der Leber reduziert. Ihr Wirkeintritt findet damit erst nach einer Verzögerung von zwei bis drei Tagen statt und reicht je nach verabreichtem Präparat bis zu einer Plasmahalbwertszeit von 140 Stunden. Demnach führt ein lediglich kurzfristiges Absetzen nicht zu einer merklich veränderten Koagulation und bedarf einer langfristig - unter ärztlicher Aufsicht - stattfindenden Anpassung.
Bei Operationen findet eine schrittweise Umstellung auf Heparin statt, auch Bridging genannt. Dieser Umstand findet in der zahnärztlichen Behandlung keine Anwendung, da eine Therapie nur unter gewissen Parametern erfolgt und damit an Bedingungen geknüpft ist.
So sind blutungsfördernde Eingriffe bei einem INR (labormedizinischer Parameter über Funktionsleistung des extrinsischen Blutgerinnungssystems) von über 3,5 nicht angezeigt.

Thrombozytenaggregationshemmer

Häufige Präparate: ASS, Clopidogrel, Prasugrel, Ticagrelor

Thrombozytenaggregationshemmer bilden in der Betrachtung eine separate Gruppe neben den herkömmlichen Antikoagulationen, da sie selbst keinen direkten oder indirekten Einfluss auf die plasmatische Gerinnung ausüben. Ihr zugrundeliegender Therapieansatz liegt in der Unterdrückung der Thrombozytenaggregation, also der Aneinanderlagerung und Verklumpung der Thrombozyten. Thrombozyten zählen zu den weißen Blutkörperchen, welche sich bei Verletzungen an die eröffneten Gefäßwände anlagern und blutgerinnungsfördernde Stoffe freisetzen. Sie begünstigen hierdurch einen Gefäßverschluss.
Thrombozytenaggregationshemmer tragen zu einer reversiblen und irreversiblen Modifikation der Thrombozyten bei, sodass deren gerinnungsfördernde Eigenschaften beeinträchtigt werden. ASS setzt in geringer Konzentration (100mg/d) als selektiver COX-1-Hemmer die Bildung von Thromboxan A2 aus. Da ein betroffener Thrombozyt diese Modifikation während seines etwa zehn Tage andauernden Lebenszyklus nicht ausgleichen kann, bleibt die antikoagulative Wirkung erhalten. Demnach führt ein kurzfristiges Absetzen von ASS nicht zum gewünschten Effekt und sollte nie selbständig für eine zahnärztliche Intervention stattfinden. In höheren Konzentrationen wird ASS auch als Analgetikum (Schmerzmittel) eingesetzt.

ADP-Rezeptorhemmer wie Clopidogrel nutzen die ADP-Bindungsstelle des Thrombozyten und verhindern eine Aggregation über das Glykoprotein IIa/IIIa. Auch hier findet eine unumkehrbare Modifikation statt, welche erst nach Untergang und Neubildung eines Thrombozyten aufgehoben wird. Die Frage nach einem kurzfristigen Absetzen erübrigt sich damit.

DOAK (Direkte orale Antikoagulantien)

Häufige Präparate: Pradaxa, Eliquis, Lixiana, Xarelto

Eine neue Wirkstoffgruppe bilden die sogenannten DOAK, welche erst seit wenigen Jahren auf dem Markt eingeführt wurden und im Gegensatz zur bisherigen Gerinnungshemmung einem veränderten Wirkansatz folgen. Ziel der DOAK ist es als hoch selektive oral aufgenommene Faktorhemmer mit kurzer Halbwertszeit, unspezifischer wirkende Präparate wie Vitamin-K-Antagonisten abzulösen bzw. zu ergänzen, um eine einfachere Handhabung im ärztlichen Alltag zu erreichen. Während Xarelto die Aktivierung des Gerinnungsfaktor II verhindert, setzen andere Präparate am Faktor X an.
Der Vorteil, DOAK können vor ärztlichen Eingriffen kurzfristig - je nach Nierenfunktion - abgesetzt und damit blutungsfördernde Eingriffe ohne lange Vorbereitungszeit durchgeführt werden. Ein Absetzen von 2-3 Tage perioperativ genügt, um die gewünschte Wirkung zu erzielen. Etwa sechs Stunden nach erfolgreicher Intervention, insofern keine Nachblutungen bestehen, kann das Präparat zur Prophylaxe wieder eingenommen werden.
Ein Absetzen sollte nur unter Rücksprache mit dem verordnenden Internisten/Kardiologen und nie selbstständig erfolgen. Neben dem schwierigeren labormedizinischen Nachweis sowie den hohen Präparatskosten sind weiterhin fehlende Antidots zur Wirkstoffantagonisierung als Nachteil anzuführen.